Von Grado nach Aquileia

Juni 2020

Für viele Segler der oberen Adria ist der Stadthafen von Grado ein attraktives Ziel. Man liegt mitten im Zentrum des kleinen Städtchens umgeben von Restaurants und Eisdielen. Nur das Anlegen ist nicht ganz einfach, denn es ist zumeist recht eng. Murings oder Dalben gibt es keine. Stattdessen muss man eine Bugleine durch die Öse einer kleinen Boje führen, bevor man das Heck an der Hafenmauer festmachen kann. Ein etwas anspruchsvolles Manöver.

Der Stadthafen von Grado – in der Vor- oder Nachsaison ist es auch mal weniger voll.

Nach dem Anlegerschluck im Cockpit reicht die Energie meistens nur noch zu einem kurzen Spaziergang durch die schöne Altstadt, wo sich auf der Piazza Duca d’Aosta die meisten Restaurants befinden. Am nächsten Tag wird der Törn fortgesetzt, entweder Richtung Venedig oder nach Slowenien / Kroatien.

Dabei verdient Grado und seine Umgebung mehr Aufmerksamkeit. Nicht nur die einzigartige Lagunenlandschaft, sondern auch die beeindruckenden Kunstschätze im nahegelegenen Aquileia sind es wert, länger zu bleiben. Mit Rädern (die man sich in Grado an vielen Stellen ausleihen kann) bietet sich ein schöner Rundkurs an, der im Folgenden beschrieben wird. Dabei kommen auch Freunde des modernen Yachtbaus auf ihre Kosten, da man in Aquileia neben vielen Altertümern auch auf das Gelände der Firma Solarisyachts schauen kann, eines renommierten Herstellers von großen Luxussegelyachten.

Durch und um die Lagune von Grado – 40 km Strecke ohne jeden Höhenmeter. Die GPX-Daten stehen hier bereit.

Ausgangspunkt ist der Stadthafen von Grado. Da die beschriebene Radtour auch eine Reise in die Vergangenheit dieser Gegend ist, lohnt es sich, zunächst einen Blick darauf zu werfen, wie Grado vor 1500 Jahren etwa ausgesehen haben könnte:

Rekonstruierte Darstellung der Festung Grado im 5./6. Jahrhundert (abfotografiert von einem kleinen Bild neben der Kirche von Grado – der blaue Kreis hat keine Bedeutung)

Begonnen hat Grado quasi als äußerer Hafen des weiter nördlich gelegenen Aquileia. Als jedoch zuerst Attila mit seinen Hunnen und später die Langobarden die Stadt im 5. bzw. 6. Jahrhundert erobert und zerstört haben, sind die Überlebenden ähnlich wie bei der Gründung von Venedig in die Lagune geflüchtet. Grado wurde befestigt und diente als Fluchtburg. Die engen Gassen der Altstadt zeigen, dass im Laufe der Zeit jeder freie Raum genutzt wurde, da man nur innerhalb der Mauern sicher war.

Die nördlich der Altstadt gelegene Lagune von Grado hat daher über mehrere Jahrhunderte hinweg die romanische Rest-Bevölkerung von den germanischen Langobarden getrennt, die weite Teile Italiens erobert hatten. Heute merkt man von diesem Grenzverlauf nichts mehr, wenn man auf dem gut ausgebauten Radweg Richtung Norden radelt und auf das Spiel des Lichts in der Lagune schaut:

Die Lagune von Grado vom Radweg aus gesehen

Der Radweg folgt der Trasse einer stillgelegten Schmalspurbahn, die zu k. und k. Zeiten Grado an das europäische Schienennetz angeschlossen hat, damit die Gäste aus Wien leichter zu den Sandstränden der Adria gelangen konnten. Heute ist dieser Abschnitt das letzte Teilstück eines internationalen Radweges aus Salzburg an die Adria, wie dieses Schild zeigt:

Wenige Kilometer weiter erreicht man bereits Aquileia. Nach der Zerstörung in der Völkerwanderungszeit ist hier fast nichts übriggeblieben. Der heutige Ort hat wenige tausend Einwohner und wirkt – bis auf die bereits erwähnte Werft – vollkommen verschlafen. Unvorstellbar erscheint es, dass Aquileia eine der größten Städte des Imperium Romanum war, die zu ihrer Blütezeit über hunderttausend Einwohner hatte.

Die Bahntrasse führt zunächst um die schon von Ferne zu sehende große Kirche herum, bis ein links abbiegender Weg auftaucht, der direkt vor dem Eingang der großen Anlage endet:

Die Kirche von Aquileia mit dem separaten Baptisterium und dem später hinzugefügten Turm

Für die Besichtigung der Kirche und des gesamten Areals sollte man etwas Zeit mitbringen. Zum einen für die Kirche selbst, die aus dem 11. Jahrhundert stammt und in ihrer Apsis bedeutende mittelalterliche Wandmalereien enthält. Zum anderen für die Ausgrabungen, die unter dem Boden der Kirche zu Tage gekommen sind:

Die spätantiken Mosaiken in der mittelalterlichen Kirche von Aquileia

Vor seiner Zerstörung gab es in Aquileia eine frühchristliche Gemeinde, die am Standort der späteren mittelalterlichen Kirche eine Art geistliches Schulungszentrum errichtet hat. Die Böden der Räume waren mit ausgedehnten Mosaiken bedeckt. Hier eine Detailaufnahme von fischenden Engeln:

Detailaufnahme des großen Mosaiks in der Kirche von Aquileia

Weitere Mosaiken liegen in einem Ausgrabungsbereich neben der Kirche unter und neben dem Campanile. Wer danach erst einmal eine Pause braucht, findet direkt vor Ort ein nettes Café und eine kleine (Steh-) Pizzeria.

Im 20. Jahrhundert sind weite Teile der antiken Stadt ausgegraben worden. Besonders überraschend für den heutigen Besucher (und Segler) ist der Verlauf des damaligen Stadtkais. Radelt man den kurzen Weg von der Kirche zurück zur Bahntrasse, trifft man auf der gegenüberliegenden Seite auf ein größeres Ausgrabungsgelände entlang des inzwischen fast vollständig versandten Flusses Natissa.

Der Kai von Aquileia; man sieht noch die Stufen hinunter zum Wasser; rechts im Bild der erst im 20. Jahrhundert aufgeschüttete Weg durch das Ausgrabungsgelände im Bereich des versandeten Flusses

Es erscheint heute kaum vorstellbar, aber hier haben große Handelsschiffe aus allen Gegenden des Mittelmeeres festgemacht und ihre Waren entladen.

Besonders eindrucksvoll ist das riesige Forum, das von einem zweistöckigen Säulengang eingefasst war. Einige Säulen sind nach der Ausgrabung wieder aufgerichtet worden:

Die Säulen des Forums von Aquileia

Das ganze Ausmaß der antiken Stadt kann man einem Plan am Wegesrand entnehmen:

Plan des antiken Aquileia: Das Forum (23) liegt in der Mitte. Rechts am Rand befindet sich der erläuterte Stadtkai (18). In der Spätantike wurde zunächst die Nordhälfte der Stadt einschließlich des Forums aufgegeben und eine gezackte Mauer (25) zum Schutz des südlichen Teils gebaut. Genutzt hat es auf Dauer nichts, so dass die Bevölkerung die Stadt vollständig aufgegeben hat und nach Grado geflohen ist.

Auf der westlichen Seite der Hauptstraße des modernen Ortes befindet sich das Nationalmuseum. Leider kann gegenwärtig nur ein Teil der umfangreichen Sammlung ausgestellt werden, aber der Besuch lohnt sich. Hier ein paar besonders schöne Exponate:

Der Raub der Europa – Mosaik im Museum von Aquileia
Blumendekoration aus Mosaiksteinchen
Ein leider stark beschädigtes Mosaik, das zahlreiche Essensreste auf dem Boden darstellt – ein etwas ungewöhnliches Bildthema

Am Museum vorbei führt der Weg (der GPX-Daten) zur bereits oben erwähnten Solaris-Werft. Am Zaun stehend kann man einen Blick auf die großen schlanken Bootsrümpfe werfen, die noch auf ihren Innenausbau warten, und davon träumen, selber solch eine Yacht zu segeln.

Wer jetzt ermüdet ist, kann auf direktem Wege nach Grado zurückradeln. Die vorgeschlagene Tour führt jedoch östlich um die Lagune von Grado herum. Zunächst auf einem weiteren gut ausgebauten Radweg und dann auf zumeist kleinen Straßen gelangt man in das Mündungsgebiet des Isonzo. Malerisch gelegen an einem Seitenarm hat sich ein einheimischer Segler einen günstigen Liegeplatz besorgt:

Liegeplatz an einem Seitenarm des Izonzo. Im Hintergrund sieht man die schneebedeckten Alpen.

Teile der Lagune sind im 20. Jahrhundert zur Landgewinnung trocken gelegt worden. Ortsnamen wie „Terranova“ bezeugen diese Entwicklung. Wie in Holland wird das Wasser in zahlreichen Kanälen reguliert, die immer wieder schöne Ausblicke ermöglichen:

Ein Kanal im Randgebiet der Lagune von Grado

Bevor man über eine größere Brücke zurück nach Grado gelangt, führt der Weg noch an einem Naturschutzgebiet vorbei. Der Blick von einem Beobachtungsturm am Wegesrand zeigt, wie das Land allmählich in das Wasser der Adria übergeht:

Nach der Brücke stößt man links auf eine Marina mit einer kleinen Bar. Danach sind es nur noch wenige Kilometer bis man wieder den Ausgangspunkt der Tour, d.h. den Stadthafen von Grado erreicht – wahrscheinlich erschöpft, aber mit einer Vielzahl von Eindrücken über die Geschichte, Kultur und Landschaft dieser Gegend.

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