Von Otranto zum Torre del Serpe

August 2020

Otranto ist für viele Segler der letzte Ort in Italien auf dem Weg nach Griechenland. Hier, am Südende Apuliens, kann man auf günstige Windverhältnisse warten, um in einem Tag Korfu oder zumindest die vorgelagerte Insel Othoni zu erreichen. Der Stadthafen von Otranto bietet leider nur eine Handvoll Transitliegeplätze, die gut geschützt am inneren Ende der Mole vor dem modernen Gebäude der Küstenwache liegen. Hat man dort festgemacht, sollte man sich die Zeit nehmen, den Ort, seine Umgebung und Spuren seiner dramatischen Geschichte zu erkunden.

Liegeplätze am Stadtkai von Otranto. Im Hintergrund links hinten die Altstadt.

Heute macht die Nähe zu Griechenland Otranto für den Segler attraktiv. Über viele Jahrhunderte war dies jedoch eine große Bedrohung für die Stadt. Denn dort, auf der anderen Seite der Adria, herrschten seit dem Ende des 15. Jahrhunderts die Osmanen. Kaum ein Ort an der italienischen Küste ist von ihren Überfällen verschont geblieben. Es gibt Schätzungen, dass im 16. und 17. Jhd. weit über eine Million Menschen durch Raubzüge der Korsaren des Sultans versklavt worden sind. Umgekehrt war es aber auch nicht besser.

Für Otranto kam die Katastrophe am 28. Juli 1480, als eine Flotte von 110 türkischen Schiffen erschien. 14 Tage dauerte die Belagerung, dann fiel die Stadt. Die Bewohner wurden vor die Wahl gestellt, zum Islam zu konvertieren oder ihren Kopf zu verlieren. 800 von ihnen haben sich unter Führung ihres Bischofs für die zweite Alternative entschieden. Als Folge der andauernden Bedrohung durch die Türken wurde die ganze Küste Süditaliens unter Karl V. stark befestigt und mit einer Kette von Wachtürmen versehen.

Eine Ruine solch eines Turms mit weitem Ausblick übers Meer besucht man mit der vorgeschlagenen Rundfahrt ebenso wie die eindrucksvolle Befestigung von Otranto und die als Märtyrer ausgestellten Überreste der 800 Opfer. Mit dem Mountainbike dauert die Fahrt und die folgende Besichtigung der Altstadt etwa zwei bis drei Stunden. Aber auch zu Fuß ist die gesamte Strecke mit etwas mehr Zeit zu bewältigen.

Fahrt zum Torre del Serpe und Wege durch die Altstadt von Otranto. Die GPX-Daten sind hier.

Vom Hafen aus folgt man zunächst dem Küstenverlauf nach Südosten. Hier laden gleich mehrere kleine Buchten zum Baden ein, die immer einsamer werden, je weiter man fährt. Die Straße wird zu einer Schotterpiste und nach einigen hundert Metern ist der Torre del Serpe bereits auf einem Hügel zu sehen:

Die Ruine des Torre del Serpe von Süden.

Der Anstieg zum Turm auf einem kleinen Pfad, der nach rechts von der Schotterpiste abzweigt, ist gerade noch fahrbar:

Anstieg zum Torre del Serpe

Nach wenigen Minuten ist das Ziel erreicht. Der Turm ist nur noch eine Ruine, denn es fehlt eine Hälfte des ehemals zylindrischen Gebäudes.

Sehr beeindruckend ist der Blick, der über die Adria bis zu den albanischen Bergen geht und beim ganz genauen Hinsehen sogar bis nach Korfu reicht – auf dem Bild der Handykamera leider nicht zu erkennen:

Aussicht vom Torre del Serpe über die Straße von Otranto

Kaum vorzustellen, welche Gedanken der Anblick von hunderten Schiffen in der Ferne am südöstlichen Horizont vor Jahrhunderten hier ausgelöst hat. Wir hingegen haben entspannt einem Segler hinterhergeschaut, der sich trotz starkem Nordwind aus dem Hafen gewagt hat, um nach Süden abzulaufen.

Der vorgeschlagene Weg trifft etwas später auf eine kleine Straße, die nach wenigen Kilometern zurück ins Zentrum von Otranto führt. Vorbei an einem Kreisverkehr gelangt man zu einer Holzbrücke über einen großen Graben der nach 1480 angelegten mächtigen Stadtbefestigung:

Die Stadtbefestigung von Otranto

In der Altstadt angekommen bietet es sich an, die Räder auf dem Platz vor dem Kastell abzustellen (Fahrradständer !) und den Weg durch die engen Gassen zu Fuß fortzusetzen, zunächst nach links zur Kirche Santa Annunziata. Hier lohnt ein Blick ins Innere. Zum einen wegen des riesigen, etwas groben Mosaiks, das fast den ganzen Boden einnimmt:

Das Bodenmosaik der Kathedrale von Otranto aus dem 12. Jhd. Qualitativ nicht vergleichbar mit den farbenprächtigen Mosaiken in Aquileia oder Ravenna.

Die Motive des Mosaiks stammen aus den unterschiedlichsten Quellen. So kann man König Artus finden oder auch Alexander den Großen auf zwei merkwürdigen Fabelwesen reitend:

Zum anderen enthält die Kirche in einer Seitenkapelle ein richtiges Horrorkabinett: In drei großen Glasvitrinen werden die Knochen und Schädel der 800 Opfer von 1480 präsentiert. Als Märtyrer sollen sie jetzt dem Seelenheil der Gläubigen dienen:

Man kann verstehen, warum Otranto nach der Katastrophe zu einer starken Festung ausgebaut worden ist, die heute noch den Betrachter mit ihren steilen geometrischen Formen beeindruckt, z.B. hier die Ostspitze des Kastells:

Der Rundgang durch die Altstadt führt auch an einer Vielzahl von Restaurants vorbei, in denen man die Rundfahrt bzw. den Rundgang beschließen kann. VomTorre Matta aus (mit Bar auf dem Dach), gibt es noch einmal einen schönen Ausblick auf den Hafen:

Der vorgeschlagene Route führt zu Fuß zurück zum Ausgangspunkt durch eine kleine Ausfallpforte (mit dem Rad alternativ außen um die Stadtbefestigung). Verabschiedet wird man dort von einem freundlich schauenden Engel in der Ruine einer alten Kirche:

Und wenn man dann am nächsten Tag aus dem Hafen von Otranto wieder ausläuft und zurück auf die Altstadt schaut, verbindet man mit diesem Ort deutlich mehr als beim Einlaufen.

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