Juni 2021
Die Marina Capo d’Orlando liegt an der Nordküste Siziliens etwa 100km westlich von Messina. Vor wenigen Jahren wurde sie mit 450 Liegeplätzen errichtet und ist seitdem ein beliebter Ausgangspunkt für einen Törn zu den Liparischen Inseln. Viele Eignerboote liegen hier, aber auch immer mehr Charteryachten aller Größen bis hin zu großen Katamaranen von mehr als 50 Fuß Länge.

Da es auf den Liparischen Inseln selbst nur zwei sturmsichere Häfen gibt, die kleine Marina di Porto Pignataro auf Lipari und Santa Marina auf Salina, dient Capo d’Orlando auch als „Fluchthafen“, wenn schlechtes Wetter droht.
Im Folgenden wird eine Radtour beschrieben, die man als Alternative zum Segeln in Betracht ziehen kann, wenn starker Nordwestwind mehrere Tage zu hohem Wellengang an der Nordküste Siziliens führt. Das Ziel sind die Ausgrabungen der griechischen Stadt Tyndaris (ital.: Tindari) und die malerische Steilküste am Kap Calavà.
Ausgangpunkt der vorgeschlagenen Tour ist der Bahnhof von Capo D’Orlando, nur wenige Kilometer westlich der Marina gelegen. Von dort kann man mit modernen Zügen innerhalb einer guten Stunde nach Oliveri gelangen, dem eigentlichen Startpunkt. Räder, die man sich gegebenenfalls in Capo d’Orlando leihen kann, können ohne Aufpreis mitgenommen werden.
Hier die gut 40 Kilometer der Strecke im Überblick:


Vom Bahnhof Oliveri-Tinderi folgt man der alten Küstenstraße Richtung Palermo. Sie steigt langsam etwa 250 Höhenmeter an, um das Kap zu überwinden, auf dem Tyndaris liegt. Heute erschließt eine Autobahn mit vielen Tunnels die Nordküste Siziliens zwischen Messina und Palermo, sodass auf der alten Straße nur wenige Autos fahren.


Nach den ersten Kilometern kommt in der Ferne bereits eine Landmarke des Ziels in Sicht.

Im frühen Mittelalter wurde direkt unterhalb der Stadt Tyndaris die Statue einer schwarzen Madonna in einer Kiste angespült. Daraus hat sich eine Wallfahrt entwickelt, die über tausend Jahre später, in den 1950er Jahren, zum Bau einer monumentalen neo-romanischen Basilika geführt hat. Die Beglückung über diesen Bau ist ihrem Bauherrn, Bischof Pullano (1907 – 1977), auf einem Bild am Straßenrand förmlich anzusehen:

Auch wer über den Bau dieser Kirche weniger beglückt ist, wird jedenfalls von der weiten Aussicht begeistert sein, die man vom Vorplatz der Kirche aus hat:

Ganz im Osten erkennt man am Horizont die Landzunge von Milazzo und noch weiter hinten, im Dunst, die Berge Kalabriens jenseits der Straße von Messina. In der anderen Richtung geht der Blick zu den Liparischen Inseln:

Man erkennt Vulcano, links dahinter Lipari und weiter rechts im Dunst Panarea und beim ganz genauen Hinsehen den Stromboli mit einer kleinen Rauchwolke.
Ein Restaurant und eine Bar auf dem Vorplatz laden zu einer Pause ein, bevor man zu Fuß die Ausgrabungen besichtigt. Das antike Tyndaris liegt nordwestlich der Wallfahrtskirche auf einem großen Plateau, das zu allen Seiten steil abfällt und damit perfekt zu verteidigen war. Hier haben Griechen aus Syrakus 396 v.Chr. eine Stadt für etwa 10.000 Einwohner angelegt, um die Nordküste Siziliens gegen die Karthager zu sichern, mit denen Syrakus über Jahrhunderte verfeindet war. Eine Übersicht liefert eine Tafel am Eingang der Ausgrabungen.

Wie man sehen kann, ist ein Stadtplan aus sich rechtwinklig schneidenden Straßen keine römische Erfindung, sondern geht bereits auf die Griechen zurück. Bislang ist nur das Theater und einer der über 30 Häuserblocks von Tyndaris vollständig ausgegraben. Man sollte sich etwas Zeit nehmen, um den Gesamteindruck aus antiken Ruinen, der (im Frühjahr) grünen Vegetation und dem Blick über das Meer wahrzunehmen. Sämtliche Klischeevorstellungen von italienischen Ruinenlandschaften werden voll erfüllt.


Aber auch das Innere der ausgegrabenen Wohnhäuser ist sehenswert, findet man hier doch ein Mosaik mit dem Symbol „Trinakria“ (die Dreieckige) für die Insel Sizilien:

Irgendwann kommt jedoch der Gedanke an die noch zu bewältigenden 35 Kilometer auf und man wird Tyndaris wieder verlassen. Dazu geht es zunächst etwa 10km Richtung Patti bergab, teilweise im Schatten riesiger Pinien.

Wer von antiken Ausgrabungen noch nicht genug hat, findet in Patti Mauern und Mosaike einer großen römischen Villa aus der Spätantike – direkt unter den Stelzen der bereits erwähnten Autobahn.

Hier war der Sitz eines der großen sizilianischen Landgüter, die über Jahrhunderte Rom mit Getreide und anderen Agrarprodukten versorgt haben. Die einfachen geometrischen Formen der Mosaike sind nicht vergleichbar mit den szenischen Darstellungen in der berühmten Villa del Casale in Piazza Armerina in der Mitte Siziliens.

Danach kommt der landschaftlich schönste Teil der Strecke. Die Straße – immer noch wenig befahren – verläuft zwischen Patti und Gioiosa Marea direkt an der Steilküste des Kap Calavà. Die folgenden Bilder sprechen für sich:



Gioiosa Marea ist ein belebter Ferienort auf einer Terrasse hoch über dem Meer. Mehrere Bars laden zu einer weiteren Pause ein, bevor die letzten Kilometer in Angriff genommen werden. Leider ist die Straße ab dem Ort Brolo Richtung Capo d’Orlando stärker befahren, da die Autobahn für viele Kilometer danach keine weitere Ausfahrt hat und der ganze Verkehr Richtung Capo d’Orlando hier geführt wird.
Entschädigt wird man durch den Blick zurück auf das Kap Calavà, und die Liparischen Inseln, diesmal von Westen aus

Wenige Kilometer weiter ist auch schon die Abfahrt zur Marina erreicht und damit der Ausgangspunkt der Tour entlang der Nordküste Siziliens:
